Im Oderbruch – Zäckericker Loose
Die Unsichtbare Stadt - Teil 1

Landschaft und Stadt sind zwei Perspektiven derselben menschlichen Sphäre; über die Wahrnehmung als das eine oder andere entscheidet die Betrachtung. Gemeinsam ist ihnen, dass ein Gedanke, eine Idee und der Wille zur Gestaltung am Anfang stehen.

Vorrede

Das Architekturbüro „Jordi & Keller Architekten“ wurde 1996 in Berlin von dem deutsch-schweizerischen Ehepaar Dipl.-Ing. Arch. Susanne Keller und Arch. Marc Jordi gegründet. Die beiden sind miteinander verheiratet und leben eine auch aus der Beständigkeit langjähriger Partnerschaft entwickelte Auffassung von Kunst und Architektur.

Es ist ihre wechselseitige Inspiration, der die Fotografien verbunden mit kurzen Texten einen assoziativen Ausdruck geben; entstanden in ihrem Refugium, einem vereinzelten Haus im Oderbruch, ihrem Büro in Berlin und an den Fassadendetails ihrer beiden Gebäude in der Neuen Frankfurter Altstadt.

Im Oderbruch – Zäckericker Loose

„Das eigentlich Wirkliche eines Raumes sind nicht die Wände, es ist vielmehr die Leere, die sie umschließen“ Laotse

Die eintägige Reise zum Landhaus von Susanne Keller und Marc Jordi beginnt um 8:00 Uhr morgens in der Tiefgarage der Autovermietung am ehemaligen Flughafen Tegel. Mit dem Ziel Oderbruch, Gemeinde Oderaue, Ortsteil Zäckericker Loose, fädelt der Mietwagen in den dicht fließenden Berufsverkehr und wechselt im Bogen der Stadtautobahn nordöstlich in Richtung Frankfurt (Oder)/Prenzlau.

Mit zunehmender Entfernung begleiten Gruppen gigantischer Windräder den Übergang von der Agglomeration Berlins in die flache Kulturlandschaft Brandenburgs. Die Komplexität des städtischen Verkehrsnetzes verzweigt sich auf Landstraßen, die Straßendörfer aus kompakten, ein- bis zweigeschossigen Steinhäusern queren, gesäumt von alleenartigem Baumbestand.

Gelegentlich unterbrechen Wohnblöcke aus grau-schmutzigem Beton die Monotonie der Agrarlandschaft: gestrandete Archen des gescheiterten Sozialismus.

Zahlreiche Felder sind bereits abgeerntet und für den kommenden Winter vorbereitet. Die nun offen dunkel-fette Erde zeigt die fruchtbare Nähe des nahen Urstromtals an. Zugleich lösen sich die Straßen auf; schmale Betonbahnen, vom weichen Boden scheinbar willkürlich verbeult, werden zu Feldwegen, die parallel zu engen Wasserkanälen verlaufen.

Die Landschaft erscheint zunehmend geordnet und systematisiert; verteilt angeordnet in der weiten, als Grünland genutzten Überflutungsaue brechen in Linien gereihte Pappeln den Wind. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war hier Kampfgebiet.

Kaum zu erkennen innerhalb der dicht verinselten Baumgruppe und offen zur Aue Richtung Westen steht das Haus, zweistöckig. Streifen von violetten Blüten in Beeten und eine Reihe schwertragender Apfelbäume führen im rechten Winkel einer alleinstehenden Mauer zu einer dunkelholzigen Scheune auf eine wetterfeste Sitzgruppe. Das Ziel ist erreicht.

Die unsichtbare Stadt

„Es ist des Baukünstlers Aufgabe, eine Verschmelzung der Zeiten anzustreben.“ 
Marc Jordi, Architekt und Bildhauer.

Frage: Steht Ihr plastisches, bildhauerisches Arbeiten in Beziehung mit Ihrer Architektur?

Marc Jordi: Es ist eine gegenseitige Inspiration. Tatsächlich denke ich, dass wir ohne die skulpturale Auseinandersetzung bestimmte Widersprüchlichkeiten in der Architektur nicht zusammenbringen könnten. Dort wird üblicherweise in Stilen gearbeitet, aber nicht in kunstvollen Verbindungen; genau dieses aber finden wir interessant.

Eigentlich hat eine architektonische Form an sich schon etwas von akademischem Eklektizismus, denn die Stadt ist mittlerweile überfordert und voller Brüche, die man eigentlich nur gezielt zusammenfügen muss. Um aber die Möglichkeiten zu erkennen und das zu verbinden, was eigentlich strenggenommen nicht verbunden werden kann, bedarf es dann einer Kunstform, durch die man nicht in einzelnen Stilen denkt, sondern in Hinblick auf das Ergebnis des Zusammenfügens.

Frage: Mit Ihren Plastiken aus weichen Materialien begreifen Sie also auch die Stadt, im wortwörtlichen Sinne?

Marc Jordi: Man spricht sowieso schon viel vom „Stadtkörper“ und einzelnen „Stadtbausteinen“, die meistens öffentliche Gebäude sind, die dann aus dem Stadtkörper herausstechen und eine Sonderstellung einnehmen. Mir wird durch meine bildhauerische Arbeit eine solche Stadtplastik einfach aber nochmal unmittelbarer, gegenwärtiger, gewissermaßen als ein „Fleisch der Stadt“. Ich kann es dadurch auf der materiell-plastischen Ebene buchstäblich berühren und so auch über die rein strukturelle Betrachtung hinaus verstehen. Oder zumindest sensibilisiert es mich zusätzlich.

Frage: Wie sind Sie darauf gekommen, die Stadt als eklektisches Gefüge mit den Möglichkeiten der künstlerischen Auseinandersetzung zu fassen?

Marc Jordi: In der Schweiz hätte ich wohl etwas anders gearbeitet; denn dort wie andernorts sind physische Zeitschichten zwar im Stadtbild erhalten geblieben, aber werden kaum bemerkt.

Dagegen hat gerade die deutsche Stadt ein einzigartiges Ausmaß an Zerstörung hinter sich, weil sie einerseits umfassend physisch vernichtet wurde, aber zugleich als geschichtliche Erinnerung weiterhin präsent ist. Die Archive sind zudem voll von Artefakten, was uns dann dazu geführt hat darüber nachzudenken, ob wir uns nicht mit jener gleichsam unsichtbaren Stadt auseinandersetzen sollten, statt uns auf das sichtbar Vorhandene zu beschränken.

Susanne Keller, Berlin 15.10.2020
Marc Jordi, Berlin 15.10.2020

Memento Mori

„Mit dem Einbau von Spolien werden Relikte des Vergangenen mit dem Heutigen baulich verbunden. Als Erinnerungsträger wirken die Spolien mit in den öffentlichen Raum hinein und lösen Assoziationen zu Vergänglichkeit und Wandel aus. Es war uns wichtig, auch an das Technische Rathaus aus den siebziger Jahren zu erinnern, was wir durch Kapitell-Ornamente aus geschreddertem Beton bewerkstelligt haben, da das Gebäude schon so gut wie entsorgt war.“geben.“  Susanne Keller

Mit Bezugnahme auf Geschichte und den Mitteln architektonischer Erzählkraft verdichten Susanne Keller und Marc Jordi das jeweilige Themenmaterial zu einem neuen, zeitübergreifenden Ganzen und spüren den „unsichtbaren Städten“ nach als skizzenhaftes Aufzeigen der großen epochenübergreifenden Entwicklungen regionaler Bautraditionen jenseits der Rekonstruktion.

Dafür bringen Jordi & Keller plastisches, bildhauerisches Arbeiten und gestalterischen Eklektizismus in eine wechselseitige Beziehung, auch um Widersprüchlichkeiten in der Architektur über die skulpturale Auseinandersetzung aufzulösen und zugleich zum tieferen Verständnis eines Ortes beizutragen.

Für das DomRömer-Projekt entwarfen sie zunächst das Haus „Zu den drei Römern (Markt 40)“ und gewannen damit den internen Wettbewerb zum Bau von „Großer Rebstock (Markt 8)“. Gewürdigt wurde damit nicht nur die Entwurfsarbeit, sondern auch die besondere künstlerische Haltung der beiden Architekten in Bezug auf den Umgang mit Geschichte als Voraussetzung für eine neue Architektur.

Spolien (von lateinisch spolium: „Beute, Raub, dem Feind Abgenommenes“)

Haus Markt 8 “Großer Rebstock”

Im Oderbruch – Zäckericker Loose
Die unsichtbare Stadt – Teil 1

Das essayistische Multimediaprojekt »DomRömer – der gebaute Diskurs« bearbeitet am Beispiel der Neuen Frankfurter Altstadt das Verhältnis von Stadtarchitektur zu kommunaler Identität und ergründet die historischen und stadtplanerischen Voraussetzungen ebenso wie die Wechselbeziehungen zwischen den gesellschaftlichen und politischen Akteuren.

Die Fotografien entstanden als eigenständige Arbeit im Rahmen eines Stipendiums für der Stadt Frankfurt für Stefan Freund, der sie in Verbindung mit den kurzen Texten auf einer eigenen Website gestaltet und veröffentlicht hat.

Hier sind die Materialien als Bestandteil der Arbeiten am Komplex »DomRömer – der gebaute Diskurs« zu sehen und nachzulesen.

Architektur: Jordi & Keller Architekten
Text und Konzeption: Thomas Mank
Fotografie: Stefan Freund

© 2020 JORDI & KELLER ARCHITEKTEN / © 2020 THOMAS MANK / © 2020 STEFAN FREUND

Stefan Freund

Fotograf

Selbstständig seit 1990 als freier Fotograf mit Studio in Frankfurt am Main.

Ausbildung an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München.

Fotografische Schwerpunkte: Porträt, Architektur, Landschaft, Schwarzweiß. Arbeiten und Veröffentlichungen für nationale und internationale Kunden und Auftraggeber aus den Bereichen Wirtschaft, Sport und Kultur.

Thomas Mank

Filmemacher, Gestalter

Selbstständig seit 1991 in Frankfurt am Main und Berlin mit Filmen, multimedialen Ausstellungen und Installationen.

Studium der Visuellen Kommunikation, audiovisuellen Medien und Experimentalfilm bei Helmut Herbst und Urs Breitenstein an der HfG Offenbach (Diplom-Designer), Film- Fernseh- Theaterwissenschaften, Philosophie und Linguistik an der Goethe-Universität Frankfurt.

Ausstellungen und Installationen u.a. für das Deutsche Filmmuseum Frankfurt, die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), das DIN Deutsches Institut für Normung e.V. und den Deutschen Bundestag.

Zweifacher Preisträger des Hessischen Film‐ und Kinopreises, Hauptpreis 11/o Festival del Cortometraggio „Scrittura e Immagine“ Pescara, Hauptpreis des internationalen Festivals für experimentelle Kurzfilme „experi & nixperi“.